Kultur

Wikingerdämmerung – eine Impression

Blick auf die Ausstellung

Was kann ein Besuch der Ausstellung im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf Menschen bringen, die sich schon lange und von verschiedensten Seiten mit der späteisenzeitlichen Kultur Skandinaviens beschäftigt haben?

Diese Frage stellte sich und wurde beantwortet: Die Ausstellung mit dem Untertitel „1066- Zeitenwende im Norden“ beleuchtet besonders den Übergang von der sogenannten Wikingerzeit zum Staatswesen der mittelalterlichen Gesellschaft.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die bildliche Dokumentation der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 aus der Sicht der Normannen: der Teppich von Bayeux. Diese beispiellose Stickerei wurde nur wenige Jahre nach der Schlacht im 11. Jahrhundert in England gefertigt.

2023 wurden im Nachlass des deutschen Archäologen Karl Schlabow zwei kleine Originalfragmente aus diesem Teppich wiederentdeckt, was den Anstoß zu dieser Ausstellung gab.

Was bedeutet diese Zeitenwende also für uns?

Die größten Veränderungen fanden in dem Sozialgefüge statt: der Adel entstand genauso wie die moderne Auffassung von Ländern, Staaten und Herrschaftsgebieten. Die Macht Einzelner gewann an Gewicht – nicht nur politisch, sondern mit fortschreitender Christianisierung auch kirchlich.

Die gesellschaftliche Struktur wurde also binnen weniger Jahre grundlegend neu geformt: vom heidnischen Götterglauben zum christlichen Monotheismus, von Sippe und Gefolgschaft zu hierarchischer Adelsgesellschaft.

Aber vor allem bildete das Welthandelsnetz, welches die Wikinger aufbauten, die Grundlage für die Hanse. Der kulturelle Austausch von Luxuswaren regte zur Nachahmung an und ließ verstärkt das Handwerk in den Städten erblühen, später organisiert in seinen Zünften und geschützt durch starke Mauern und Männer unter Waffen.

Diese Entwicklung ist im Norden Europas ohne den weitreichenden Einfluss der skandinavischen Pioniere der Seefahrt ebensowenig denkbar wie z.B. in Spanien ohne die Kultur der Sarazenen.

Die aus vielen Sammlungen und Ländern zusammengetragenen Ausstellungsstücke stellen immer wieder Verbindungen zu den drei bahnbrechenden Veränderungen im Jahre 1066 her: der Schlacht von Stamford Bridge im heutigen Yorkshire und der damit einhergehenden Niederlage des norwegischen Königs Harald Hardråde, der Eroberung des angelsächsisch-dänischen Herrschaftsgebiets in „England“ durch in Nordfrankreich ansässige ehemalige Wikinger, die Normannen, und letztlich der endgültigen Zerstörung und Aufgabe der Handelsmetropole Haithabu durch die Slawen, verbunden mit der Verlegung nach dem gegenüber liegenden Schleswig, welches aber nie eine vergleichbare Bedeutung wie Haithabu erreichen sollte.

Im ersten Ausstellungsraum, dem Kreuzstall, befindet sich eine Gaming-Lounge, in welcher historisch inspirierte Videospiele ausgetestet werden können. Außerdem befindet sich hier eine grafische Neuinterpretation des Teppichs von Bayeux von der Künstlerin Margret Eicher.

Als ansprechende Wegweiser zur Hauptausstellung in der Reithalle hat das Berliner Grafikbüro gewerkdesign Figuren des Bayeuxteppichs in modernen Bildern stilisiert. Diese geben sowohl als Illustrationen als auch als animierte Snippets mit Lautuntermalung einzelne für die Zeit typische Tätigkeiten wieder: Handels- und Plünderfahrt, Handwerk, Ackerbau, Viehzucht, Fischerei, Alltagsleben und Kinderspiele.

In der Reithalle wird man von ersten Fundstücken und einer detaillierten Zeitleiste über die Geschehnisse in Nordeuropa zwischen den Jahren 700 und 1160 n.Chr. bregrüßt. Geht man um die erste Ecke, ziehen einen Schaukästen mit archäologischen Fundstücken in ihren Bann: Hier bekommt man eine Ahnung davon, wie kunstreich, vielfältig, kulturell aufgeschlossen und bunt das Leben in der Hanselsmetropole Haithabu und in anderen Siedlungen der sogenannten Wikingerzeit gewesen sein muss.

Komplexe Silber- und Goldschmiedearbeiten reihen sich an Silberschätze mit Münzen aus der gesamten damals bekannten Welt.

Überbleibsel von verschiedenen Werkstätten spiegeln eindrucksvoll wieder, wie genau die Menschen damals schon arbeiteten.

Bruchstücke ehemaliger Schiffe veranschaulichen, wie genial die Klinkerbauweise für die berühmten Drachenschiffe und Knorren weiterentwickelt wurde.

Schwerter, Axt- und Lanzenköpfe, sowie Überreste eines Kettenhemdes erzählen von kriegerischen Auseinandersetzungen.

Pferdezaumzeug, Steigbügel und sogar ein erstaunlich gut erhaltener hölzerner Sattel zeigen dem Besucher, dass neben den Schiffen die Bedeutung der Pferde als Fortbewegungsmittel und in Schlachten wuchs: während die skandinavischen Krieger unter Harald Hardråde noch zur Schlacht bei Stamford Bridge ritten und dort die Kampfeshandlungen zu Fuß ausführten, griff das Heer der Normannen unter Wilhem von Oranien die Truppen von König Harold II Godwinson in Hastings mit einer Kavallerie an.

Vier Fragmente von Pergamentseiten dreier vermutlich früher Manuskripte (ca. 1300  n.Chr.) der Gesta Danorum sind ebenfalls zu bewundern.

Siegel, Gussformen, Waagen und Gewichte zeigen die Wichtigkeit des Handels.

Karneol- und Bergkristall-Perlen, sowie reich verzierte Broschen und Armringe aus Gräbern, Münzen aus dem nahen Osten und unzählige Stücke Hacksilber, etliche aus Hort-Funden, lassen die zunehmende Bedeutung des Fernhandels erahnen.

Ein Runenstein, welcher Zweitverwertung im Bau des Schleswiger Doms gefunden hatte, berichtet von einem Grab im heutigen England.

Auf der Galerie der Reithalle befindet sich ein originalgetreuer Nachdruck des fast 70 Meter langen Teppichs von Bayeux, welcher die Dokumentation zu den Ausgrabungen in Haithabu in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts räumlich umschließt.

Hier kann man auch zum ersten Mal das 2023 entdeckte Stück aus der Rückseite des Bayeux-Teppichs sehen, welches sich seit den Untersuchungen der Stickerei zur „Sicherung des SS-Ahnenerbes“ im Auftrag der NSDAP im Privatbesitz eines der Beteiligten befand.

Dieses Stück unbestickter Leinwand soll nach der Ausstellung an Frankreich zurückgegeben werden.

Abschließend hat man noch die Möglichkeit, Requisiten aus der ursprünglichen Aufführung von Wagners „Götterdämmerung“ zu sehen. Die Oper hat natürlich den Anstoß zum Namen der Ausstellung gegeben. Die Requisiten selbst erinnern stark an bronzezeitliche Funde, wie sie im Museum Moesgaard in Aarhus in Dänemark zu sehen sind, und sorgen , besonders im Vergleich mit den echten Fundstücken, für Heiterkeit.

Obwohl ich die Ausstellung gelungen fand, würde ich dringend empfehlen, den Katalog zur Ausstellung zu kaufen, da dieser den Leitfaden wesentlich deutlicher zeigt als die Ausstellung selber.

Die Fundstücke sind natürlich beeindruckend, aber leider ist für den „Wikinger-Nerd“ wenig Überraschendes dabei und die grundlegenden Themen der einzelnen Schaukästen wirken unzusammenhängend.

Die Texte sind aufgeteilt auf Informationen zu den Exponaten und Ausführungen zum angestrebten Thema des Zeitenwandels, allerdings lesen sich diese eher wie wahllos aus dem Zusammenhang gerissen und ergeben keinen roten Faden.

Eine Numerierung der Schaukästen und ein entsprechend fortlaufender Text, in welchen die Fundstücke einbezogen werden, hätte mir besser gefallen.

Ein weiterer Dorn im Auge war mir der Ausdruck eines der Schriftzüge an der Wand im Kreuzstall:  „Was meint eigentlich Wikingerdämmerung?“, sollte dort doch eher „Was bedeutet Wikingerdämmerung eigentlich?“ stehen. Sonst wirkt das wie ein unglücklicher Übersetzungsversuch aus dem Englischen.

Sehr positiv fand ich, dass die gesamte Ausstellung auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen voll zugänglich war. Auch waren sämtliche Texte mit Videos in Gebärdensprache versehen, sodass sogar Kinder mit Hörschwierigkeiten im Vorschulalter selbständig durch diese Ausstellung gehen können. Schön wäre natürlich ein Audioguide für hörende Vorschulkinder und u.a. dyslexische Personen – aber hier wurde ein guter, ehrlicher Anfang gemacht.

Die generelle Akustik trug recht weit, sodass man von der Führung zum Bayeux-Teppich auf der Galerie unten im Ausstellungsraum leider leicht gestört werden konnte.

Zusammenfassend möchte ich die Ausstellung aber jedem Interessierten wärmstens empfehlen – besonders der Druck des Bayeux-Teppichs und die Informationen über die Ausgrabungen in den 30er und 40er Jahren waren beeindruckend – und auch die interaktiven Ansätze haben mir sehr gut gefallen: Mehr davon, bitte!

Sophie Claussen